Nicht Arm dran, sondern Arm ab
Zum Glück und Erfolg braucht es keine Arme
Nein. Mitleid will der Mann mit den kurzen Stummelärmchen nicht. „Man muss nur die richtige Perspektive einnehmen.
BBS Marienhain im Oktober 2022: Bei mir ist es die Frage: fehlen mir die Hände oder habe ich einen Daumen,“ erklärte Rainer Schmidt seinem staunenden Publikum aus ca. dreihundert Schülerinnen und Schülern der BBS Marienhain. Wenn man ihm zuhört, gibt sich die Antwort schnell. Schmidt, dem von Geburt an beide Unterarme und ein halbes Bein fehlen, kommt mit der scheinbaren Behinderung erfolgreich durchs Leben. Dass er einen kleinen Daumen an seinem linken Arm hat, empfindet er als großes Glück. Und damit kann er sogar Dinge machen, die andere mit zehn Finger nicht schaffen.
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Rainer Schmidt vor Schülern der BBS Marienhain.
Schmidt sieht sich auch nicht als behindert an. Es sei in seinem kleinen Heimatdorf in der Nähe von Gummersbach ganz normal aufgewachsen, habe überall mitmachen können. Als er mit seinem kleinen Bruder einmal einem Mann begegnete, der ihn wegen seiner fehlende Arme mitleidig ansprach, habe sein Bruder sich vor dem Fremden aufgebaut und ganz selbstverständlich gesagt: „Hör mal, mein Bruder ist nicht arm dran. Er hat nur Arm ab.“
Behinderungen habe er erst wahrgenommen, als er selbst in einer Schule für Körperbehinderte kam und erstmals Kinder im Rollstuhl oder mit Spasmus sah. Mit 12 Jahren kam er zufällig zum Tischtennis. Erste Spielversuche scheiterten kläglich, bis ihm ein Bekannter eine Armverlängerung konstruierte, an der er seinen Schläger befestigen konnte. Jahrelanges intensives Training brachten Schmidt bis zur dreimaligen Teilnahme der Paralympics. 1992 in Barcelona schaffte er es bis ins Endspiel. „Der absolute Höhepunkt meiner Karriere von 15.000 Zuschauern.“ 2008 beendete er diese Laufbahn. Von den damaligen Glücksgefühlen profitiert er noch heute.
Glück ist sehr individuell
„Aber was die Menschen glücklich macht, ist sehr individuell,“ sagt er. Glück müsse man jedenfalls selbst in die Hand nehmen. Seine berufliche Laufbahn hatte er als Verwaltungsbeamter begonnen. Nach fünf Jahren studierte er Theologie und wurde evangelischer Pfarrer. Dass der Mann zufrieden mit seinem Leben ist, nimmt man ihm sofort ab, wenn er sagt: „Danke lieber Gott, dass ich nicht so langweilig ausschaue wie mein Publikum.“
Vielfalt sei normal, versichert er den angehenden Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen und Pflegekräften. „Inklusion bedeutet nicht, dass Behinderte bei Nichtbehinderten mitmachen dürfen. Inklusion bedeutet, sich auf Augenhöhe begegnen zu können.“ Mit seiner Andersartigkeit geht er offensiv um. „Ich wurde man gefragt, warum ich so kurze Arme habe. War ein missglückter Suizidversuch. Habe mich falsch auf die Gleise gelegt.“ Während sein Publikum noch schwankt zwischen Lachen und Betroffenheit, legt Schmidt schon nach: „Jeder Mensch hat ein Recht darauf, verarscht zu werden. Über einzelne Gruppen keine Witze zu machen ist Diskriminierung.“ Nicht umsonst tourt der Mann seit Jahren erfolgreich als Kabarettist und Moderator durch das Land.
Das Thema Glück zieht sich wie ein roter Faden durch seinen Auftritt. Doch Glück sei gar nicht sein oberstes Ziel. Viel höher stehe für ihn der Erfolg und die Sinnhaftigkeit seines Handels. Denn Glück sei immer zeitlich begrenzt. Erfolg hingegen gebe es nur, wenn man sich über längere Zeit anstrenge. Und wenn man sagen könne: Ich kann was. Ich bin wer. „Ich möchte später über mein Leben das Gefühl haben können: Das hat sich gelohnt.“ „Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.“
Ludger Heuer